Jetzt Ende April geht es noch gemütlich zu und her. Die Fähre, die uns von Porto Santo Stefano in der südwestlichen Ecke der Toskana auf das rund zwanzig Kilometer westlich gelegene Eiland bringt, hat jedenfalls leichte Fracht. Ein paar wenige Autos (auf der Fähre haben auch kaum mehr als zehn bis fünfzehn Fahrzeuge Platz) und ein paar Handvoll Fussgängerinnen und Fussgänger. Nach einer Stunde auf dem Schiff leuchten uns die farbigen Hausfassaden von Giglio Porto entgegen. Hier treffen wir auf unsere Freunde Carla, Dino und deren Sohn Tommaso, mit denen wir die Insel erkunden werden. Vom Ausblick oberhalb von Porto Giglio erscheint die Distanz zum Festland relativ gering. Ebenfalls in Sichtweite des Städtchens liegt die Nachbarinsel Giannutri. In einer kleinen Nebenbucht von Porto Giglio haben die Römer ihre Spuren hinterlassen. Durch das klare Wasser hindurch erkennt man die Grundmauern eines römischen Fischzuchtbeckens.
Auch auf Giglio herrscht nicht nur eitel Sonnenschein. Dies realisieren wir am nächsten Tag. Die tiefliegenden Wolken geben nur einen knappen Blick auf das Meer frei. Wer, wie wir, die Insel zu Fuss erkunden will, muss sich warm anziehen. Die Insel überzieht ein dichtes Netz an Wanderwegen und Mountainbiketrails, die bestens unterhalten sind. Das Wetter wird stetig besser, je näher wir zum Capel Rosso, dem Leuchtturm am Südende der Insel gelangen. Überall begegnen wir den Capannelli. Diese rein aus Stein gefertigten Unterstände und Lagerräume hatten für die Bauern in der Vergangenheit im unwegsamen Gelände und bei ihren nur mühsam zugänglichen Feldern eine grosse Bedeutung. Sie werden auch heute noch genutzt. Eine Renaissance erlebt der Weinbau auf der Insel. Auf kleinen Terrassen wird insbesondere die Ansonica Traube angebaut. Wegen des oft starken Windes müssen die Rebstöcke klein gehalten werden. Schliesslich geht es zurück nach Castello Giglio, dem Hauptort und dem Verwaltungszentrum der Insel. Zum Ende des Tages kommen nochmals Wolken auf. Die Sonne nimmt es mit ihnen auf. Wer wird obsiegen?
Ganz klar die Sonne 😊!Die Westküste um Campese herum präsentiert sich am folgenden Tag bei strahlendem Wetter. Das klare Wasser lädt zum Tauchen und Schnorcheln ein. Früher – bis in die 1960iger Jahre – wurde hier Pyrit abgebaut. In der Bucht von Campese findet sich der Eingang zur Miene und stehen auch nach wie vor die im Verfall begriffenen Installationen zur Verschiffung des eisenhaltigen Minerals. Vom Ende der Bucht aus, dem Capo Faraglione, mit dessen beeindruckenden Felsformationen geniesst man einen Blick auf die auf halbem Weg nach Korsika liegende Insel Montecristo.
Ein dunkler Moment lastet auf Giglio. Verursacht am 13. Januar 2012 durch den grobfahrlässig-überheblichen und deswegen auch verurteilten Capitano Schettino. In der Tat kaum nachvollziehbar, was ihn ritt, sein Kreuzfahrtschiff, die Costa Concordia, so nahe an die Insel zu steuern, dass diese am Felsband südlich des Hafens ihren Rumpf aufriss und dann manövrierunfähig auf das Felsband unmittelbar vor der Hafeneinfahrt driftete, wo sie kenterte. 32 Opfer waren die Folge, denen mit einer Gedenktafel im Hafen eine letzte Ehre erwiesen wird.
Die Katastrophe ist glücklicherweise eine Weile her. Man spürt förmlich, wie die Inselbewohner und -bewohnerinnen froh sind, nicht mehr im Fokus der Weltöffentlichkeit zu stehen. Ihr beschauliches, einfaches Inselleben zu führen, ist was sie lieben. Wir haben die Tage auf der Insel sehr genossen und werden mit Sicherheit zurückkehren … allerdings nicht im Juli oder August!