Tirana & Durres, 12. November 2024
In Albanien ist das Fahrrad nach wie vor ein gängiges Fortbewegungsmittel. Entsprechend sind sich die Automobilisten an den Zweiradverkehr gewohnt und nehmen grosse Rücksicht auf uns Velofahrende … was wir, zugegebenermassen, so nicht unbedingt erwartet hatten.
Die ländliche Idylle, der wir auf den ersten Kilometern nach Shkoder begegnen, kommt zu einem jähen Ende, als wir in Gjader auf eine riesige Gefängnispforte zufahren. Auf hunderten von Metern radeln wir danach der befestigten Anlage entlang. Hinter diesen hohen Wänden versucht die italienische Regierung von Giorgia Meloni ihr Asylantenproblem auszulagern und in der italienischen Bevölkerung für positive Stimmung zu sorgen. Angesichts der enormen Kosten und der rechtlichen Probleme, die das Projekt verursacht, bisher ohne Erfolg … ganz im Gegenteil!
Etwas weiter der Strasse entlang, politische Zeitzeugen aus einer anderen Epoche. In der Nähe von Lezha zerfällt das einst bedeutendste Phosphatwerk Albaniens. Nach dem Bruch Enver Hoxhas mit der Sowjetunion waren es die Chinesen, die dieses Werk 1966 errichteten. Mit der Produktion bergab ging es bereits ab 1972 als Hoxha sich auch mit den Chinesen überwarf. Nach der politischen Wende 1990 wurde die Produktion vollends eingestellt. Eine gewisse apokalyptische Stimmung kommt hier trotz der strahlenden Sonne und des blauen Himmels auf.
In Lezha befindet sich das Skanderbeg-Mausoleum. Der albanische Nationalheld formierte 1444 in der jetzt überdachten St. Nikolaus-Kirche den Widerstand gegen das osmanische Reich. Während zwanzig Jahren gelang es ihm dieses in Schach zu halten. Erst nach dem Hinschied des Fürsts 1468 - ebenfalls in Lezha – gelang es den Ottomanen, ihre Herrschaft (die vier Jahrhunderte dauern sollte) auf die Region auszuweiten.
Skanderbeg begegnen wir wiederum in Tirana. Hier als Reiterstandbild auf dem Hauptplatz der Stadt, dem Skanderbeg-Platz. Es sind dreissig Jahre her, seit ich (Christian) mich das letzte Mal hier befand – in einer völlig anderen Welt damals. Die tausenden von Bunkern, die kurz nach dem Sturz des kommunistischen Regimes das Land noch übersäten, sind weg. Einzelne Übriggebliebene – einer im Zentrum Tiranas – sind zu Gedenkstätten und Museen geworden. Die Pyramide, die ursprünglich der Verehrung Enver Hoxhas diente, ist zu einem Kulturzentrum umgestaltet worden. Die damals noch graue Stadt zeigt sich heute in den verschiedensten Farben. Der Hausberg Dajti ist mittlerweile bequem mit einer Seilbahn erreichbar und lässt einem staunen, wie gross – mit einer Bevölkerung von annähernd einer Million - der Ballungsraum der Hauptstadt geworden ist. Das Tiraner Nightlife ist rauschend und bunt. Dennoch, nicht alle profitieren vom Boom. Szenen auf unserer Anfahrt durch die Aussenquartiere von Tirana kommen indischer Armut zeitweise sehr nah. Viele haben andere Sorgen, als am Nachtleben teil zu haben und auch in der Architektur treffen sich die Gegensätze.
Heute haben wir nun unsere letzte Etappe von Tirana nach Durres absolviert. Ziemlich genau 900 km sind es, seit wir in Split losgefahren sind. Beinahe bedauerlich, dass diese spannende, facetten- und abwechslungsreiche Tour bereits zu Ende ist. Sie hat uns eine Region nähergebracht, die uns bisher nicht sehr vertraut war. Auf Schritt und Tritt (oder in unserem Fall treffender: mit jeder Pedalumdrehung) wird man mit der bewegten und vielfach auch tragischen älteren und neueren Geschichte dieser Länder konfrontiert. Ansporn genug, um – vielleicht anlässlich einer nächsten Reise – sich noch vertiefter damit zu befassen!
Vorerst geht es nun aber morgen mit dem Schiff zurück nach Ancona 😊
Shkoder, 7. November 2024
Ein kühles Orangina bei einem Zwischenstopp – wie schon auf unserer letztjährigen Tour durch Frankreich tut der Durstlöscher und Muntermacher auch dieses Jahr in Montenegro gut! Die Etappe von Kotor nach Bar führt uns an einigen schönen Stränden und Buchten vorbei. Wie lange wohl diese so noch Bestand haben? An der gesamten Küste herrscht eine enorme Bautätigkeit und überall – so auch in Budva – werden neue Hotelkomplexe hochgezogen.
Ein Blick zurück nach Bar … und bald schon geht es über die Grenze nach Albanien. Passanten am Strassenrand winken einem freundlich zu, grüssen und spornen an. Ein neues Land, eine andere Mentalität. In den slawischen Ländern, die wir bisher durchradelt haben, war der Kontakt reservierter. Bald nach der Grenze erreichen wir Shkoder, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Nordalbaniens. Die Stadt wird beherrscht durch die Rozafa-Burg. Von den Illyrern, über die Römer, zu den Byzantinern und Venezianern, viele Reiche haben an der Festung gebaut und mittels dieser ihren Machtanspruch demonstriert. Alle sind sie auch wieder verschwunden … das Phänomen des Aufstiegs und des Falls von Grossmächten beschäftigt uns am gestrigen 6. November ganz besonders.
Die Aussicht von der Rozafa-Burg ist phänomenal. Welche Gegensätze in der Stadt herrschen, ist von hier oben allerdings nicht auszumachen. Einerseits die wunderschön wiederaufgebaute Altstadt, wo es sich auch die Talahons (der Begriff verpasste kürzlich nur knapp die Prämierung zum Wort des Jahres 2024 😊) nicht nehmen lassen, mit ihren fetten Karossen Präsenz zu markieren. Anderseits noch aus der Zeit Enver Hoxha’s stammende, baufällige Mietkasernen und Kleidermärkte am Strassenrand, wo sich eine grosse Zahl der Bevölkerung mangels Geld eindecken muss.
Friedlich geht es am Skadarsko Jezero zu und her. Der Shkoder-See ist gleich gross wie der Bodensee und damit das grösste Binnengewässer von Südeuropa. Sind ihre fliegenden Konkurrenten verjagt, werfen die Fischer Futter für die Fische aus, um danach einen guten Fang an Land ziehen zu können.
Kotor, 4. November 2024
Einen derart idyllisch gelegenen und verschlafenen Grenzposten wie derjenige bei Vitaljina im südlichsten Zipfel von Kroatien wird es an der Schengen Aussengrenze kaum viele geben. Ausser uns scheint hier niemand die kroatisch-montenegrinische Grenze passieren zu wollen. Glücklicherweise nehmen es die Beamten sowohl dies- wie jenseits der Grenze gelassen, dass wir ihre Siesta unterbrechen.
Kaum haben wir das Kap nach der Grenze umfahren, öffnet sich vor uns die Bucht von Igalo und Herceg Novi. Offenbar ein Hotspot für Badetouristen. So sanft und geruhsam wie der Blick von der Terrasse unseres Apartments vermuten liesse, geht es hier nicht zu und her. Jubel und Trubel auf der Promenade und dröhnende Bässe aus den Stranddiscos müssen dazu gedacht werden. Hercg Novi verfügt allerdings über eine sehenswerte Altstadt mit einem eindrücklichen serbisch-orthodoxen Gotteshaus (der Kirche, der über siebzig Prozent der Bevölkerung Montenegros angehört.)
Unser Weg führt uns nun in die Bucht von Kotor und an der Skrpjela-Insel vorbei. Der Legenda nach sollen die Fischer aus Dankbarkeit über die sichere Rückkehr jeweils an dieser Stelle einen Stein in die Bucht geworfen haben, bis sich nach und nach die künstliche Insel ergab. Anfangs des 17. Jahrhunderts wurde die heute noch erhaltene katholische Kirche darauf erbaut.
Zwei Radetappen nach Dubrovnik erreichen wir Kotor … die Kreuzfahrtschiffe haben es ebenso geschafft 😊! Um ihre eigenen Seefahrtsinteressen zu schützen, wurde die Stadt von den Venezianern zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert zu einer eigentlichen Festung ausgebaut. Entsprechende Anlagen ziehen sich hinter der Stadt weit den Hang hoch. Kotor fasziniert, weil es so ursprünglich, authentisch daher kommt … und auch der Blick von oben lohnt sich. In einer kleinen (aber steilen) Zusatzetappe fahren wir heute 850 Meter und unzählige Serpentinen den Berg hoch und geniessen von dort oben die wunderbare Sicht auf die Bucht von Kotor und deren namensgebende Stadt.
Dubrovnik, 1. November 2024
Die Strecke von Mostar nach Dubrovnik haben wir in vier Etappen zurückgelegt.
Vorerst radeln wir zurück nach Ploče. Wie bereits auf der Hinfahrt folgen wir auf bosnischem Staatsgebiet dem «Ciro-Trail», einem wunderschönen und gut unterhaltenen Radwanderweg, der auf einem ehemaligen Bahntrassee aus der Zeit der österreichisch-ungarischen Monarchie dem Fluss Neretva entlangführt.
Der Ciro-Trail würde uns durchs hügelige Landesinnere direkt nach Dubrovnik bringen. Wir zweigen aber kurz vor Metkovic von diesem ab, weil wir es vorziehen, mit der Fähre von Ploče nach Trpanj, auf der Halbinsel Pelješac, überzusetzen. Ein Apéro unter einem Mandarinenbaum vor unserem Logis in Trpanj – bereits kurz nach unserer Ankunft versteht es die Halbinsel, uns zu begeistern! Die vielen schönen Büchtchen, das zum Baden ladende klare und warme Wasser, die gemütlichen, um diese Jahreszeit äusserst ruhigen Örtchen, die abwechslungsreiche Landschaft und die sich jeden Abend immer wieder selber übertreffenden Sonnenuntergänge packen uns auch in den folgenden Tagen auf unserer Fahrt nach Dubrovnik.
Schon bei der Einfahrt in die Stadt wird klar, dass es mit der Ruhe in Dubrovnik vorbei ist. Flutwellenartig strömen die Touristinnen und Touristen aus den im Hafen liegenden Kreuzfahrtschiffen ins Zentrum. Angenehm ist es in der Altstadt eigentlich nur morgens früh oder abends, wenn die schwimmenden Hotels ihre Pforten entweder noch nicht geöffnet oder bereits wieder geschlossen haben. Nichtsdestotrotz ist Dubrovnik ein Besuch wert. Jahrhunderte nach der Blütezeit des Stadtstaates, der sich mit den Venezianern und den Ottomanen arrangiert hatte und seinen Reichtum mit Seehandel erwirtschaftete, zeigt sich der alte Glanz der Stadt auch heute noch auf Schritt und Tritt.
Mostar, 27. Oktober 2024
Nach drei Tagesetappen, zweihundert Radkilometern und einem platten Reifen haben wir gestern Mostar in Bosnien-Herzegowina erreicht.
Von Split weg der Eurovelo8-Route folgend, führte uns der Trail zu Beginn durch das hüglige dalmatinische Hinterland. Ein ständiges Auf und Ab bis kurz vor Makarska. Hier trifft der Trail auf die Küste und zieht sich nunmehr dieser entlang südwärts. «Gute Fahrt auf dem Dalmaziquai», hat uns ein Berner Freund vor unserer Abreise gewünscht. Streckenweise fühlt sich die Fahrt von Makarska nach Ploče tatsächlich so an …. allerdings wird das herrliche Quai-Trassee auch immer wieder abrupt unterbrochen … und wir müssen unsere Fahrräder stossen und tragen.
In Ploče verlassen wir den Eurovelo8 und fahren dem Fluss Neretva entlang siebzig Kilometer ins Landesinnere nach Mostar. Heute kaum mehr vorstellbar, dass die Stadt im Krieg anfangs der 1990-iger Jahre zu 80% völlig zerstört wurde. Dank der Hilfe und Unterstützung der Unesco wurde die gesamte ottomanische Altstadt (inkl. dem Wahrzeichen der Stadt, die Stari Most-Brücke) bis 2004 1:1 wiederaufgebaut. Auf der Liste der Unesco-Welterben kommt ihr zu Recht ein prominenter Platz zu. Die tragische jüngere Geschichte der Stadt – aufgerieben zwischen den serbischen und kroatischen Grossmachtsinteressen – widerspiegeln Friedhöfe, die sich mitten in der Stadt befinden. Ein Grossteil der Begrabenen sind Opfer dramatischer Bombardierungen der Stadt von kroatischen Verbänden im Jahre 1993. Ob die Wunden der damaligen Geschehnisse ganz verheilt sind, erscheint zumindest fraglich. Immerhin sind sie nicht mehr allzu offensichtlich. Bosniaken, Kroaten und Serben scheinen friedlich nebeneinander zu leben. Die Rufe der Muezzine und die Geläute der katholischen und orthodoxen Kirchen ertönen rücksichtsvoll aufeinander abgestimmt.
Split, 23. Oktober 2024
Das Auto ist in der Garage eingestellt, die Fahrräder sind bepackt, los geht’s zum Hafen von Ancona. Hier beginnt unsere Tour, die uns mit dem Schiff über die Adria und dann per Velo südwärts, durch das kroatische Dalmatien, durch Bosnien-Herzegovina und Montenegro bis nach Durres in Albanien, führen wird.
In der Abenddämmerung ein letzter Blick zurück auf die Altstadt von Ancona. Elf Stunden später, kurz vor Sonnenaufgang erreichen wir die kroatische Hafenstadt Split. Die bald schon höher stehende Sonne erweckt die Stadt zum Leben. Annähernd zweitausend Jahre alt ist das Stadtzentrum. Der römische Kaiser Diokletian, der aus der Gegend stammte, liess sich hier seinen Alterssitz bauen. Kernstück des Diokletian-Palastes ist das heute noch gut erhaltene Peristyl, der Audienzraum, wo Diokletian Hof hielt. Quasi auf dem Fenstersims eine Sphinx, ein Souvenir, das Diokletian von einem Feldzug in Ägypten mit nach Hause brachte. Das an das Peristyl angrenzende Mausoleum Diokletians wurde im 13. Jahrhundert zu einer Kathedrale umgewandelt. Sie ist dem ehemals von Diokletian hingerichteten Märtyrer und heutigen Schutzheiligen von Split, Domnius, gewidmet.
Um diese Jahreszeit halten sich die Touristenströme in Grenzen, so dass wir in Ruhe den Markt, die Hafenpromenade Riva und die vielen schönen Plätze, die die Stadt zu bieten hat, geniessen können. Heute nun noch ein kleiner «Prolog» der Küste entlang ins schmucke Städtchen Trogir, das dreissig Kilometer nördlich von Split gelegen ist … bevor morgen nun die eigentliche Velotour beginnt …. 😊